Die Frisur? Sitzt! Die Kassette? Blitzt! Und der Gear? Alles geritzt! Wer sich auf den Trails umschaut, könnte meinen: Equipment ist alles. Skill ist nichts. Doch macht uns teures Zubehör besser, schneller, sicherer? Und was zählt wirklich auf dem Trail? Ein (nicht immer) ganz ernst gemeinter Diskurs.
Der „Overequipped German“ ist weithin bekannt als eine Spezies, bei der es niemals am Material scheitern darf. Und daher gilt besonders beim Gear: Das Beste ist gerade gut genug. Doch was bringt exklusive Ausstattung, teures Zubehör und fancy Kleidung tatsächlich? Ist der mit dem besten Material auch der Schnellste auf dem Trail oder doch eher auf dem Holzweg? Sicher – gutes Equipment hat noch keinem geschadet. Und der Style-O-Mat spielt vor allem bei der jüngeren Zielgruppe eine große Rolle. Doch haben wir uns nicht alle schon einmal dabei ertappt, dass wir mehr auf den Style denn auf die Skills geachtet haben? Hand auf’s Herz!
Das E-MTB – Nicht nur Back to Business für Mid Ager!
Der durchschnittliche Käufer eines E-MTBs ist nicht gerade blutjung, sondern zählt meist zur Gruppe der Mid oder Best Ager. Dennoch greifen auch die jüngeren Biker immer öfter zum E-MTB. Die Gründe dafür sind mannigfaltig, oft spielen aber die Kaufkraft und das Alter bzw. die nachlassende Fitness eine entscheidende Rolle. So sind moderne E-MTBs doch ziemlich teuer, selbst wenn das Preis-Leistungsverhältnis stimmt, wie etwa in unserem Vergleichstest der besten E-MTBs bis 7.000 Euro. Und für viele bedeutet das E-Mountainbike den Wiedereinstieg in unseren geliebten Sport, etwa nach einer Krankheit oder einfach, weil Sich-Quälen nicht mehr ganz oben auf der Agenda steht. Dass ein E-MTB hierfür das perfekte Sportgerät ist, kann nicht nur unser Autor Patrick bestätigen, der mithilfe eines E-Bikes und konsequenter Ernährungsumstellung zurück zu alter Form und Gesundheit gefunden hat. Doch auch viele Einsteiger und jüngere Rider greifen direkt zum E-MTB aufgrund der offensichtlichen Vorteile: Mehr Trails in derselben Zeit, anspruchsvolle Uphills, spaßige Downhills und – nicht zu vergessen – erheblich kürzere Erholungszeiten. Zudem lassen sich dank anpassbarer Unterstützung Unterschiede in der Fitness ganz einfach ausgleichen, sodass Jüngere mit Älteren, Fitness-Junkies mit Couch-Potatoes, Familien mit Kindern gemeinsame Touren genießen können – ganz ohne Frust und Ärger. Eine gute Hilfe bei der Suche nach dem passenden Bike kann hierbei etwa unsere umfassende, interaktive Kaufberatung sein.
All the Gear, no Idea! Worauf du beim Kauf achten solltest.
Wer schon einige Tausender in die Anschaffung eines E-Mountainbikes investiert hat, scheut sicher auch nicht die Kosten für ordentliches Zubehör und stylishe Klamotten. Doch Vorsicht: Nicht selten übersteigen die finanziellen Möglichkeiten Fitness-Niveau und Skill-Level. Und genau hier lauert die Gefahr, fehlendes Können und mangelnde Kondition mit Gear kompensieren zu wollen, getreu dem Motto „Am Material darf’s nicht scheitern!“ Dass das jedoch in den wenigsten Fällen passiert, sieht man immer wieder auf den Trails im Mittel- und Hochgebirge. Was sich dort teilweise in feinsten MTB-Zwirn gewandet mit teuerstem Material die gar nicht mal so krassen Trails runterquält, ist bestenfalls für Masochisten und Reinhard-Fendrich-Fans eine Augenweide. Es lebe der Sport! Prinzipiell ist der Ansatz nicht verwerflich, denn oft gilt „Wer billig kauft, kauft zwei Mal.“ Dennoch sollte man bei Bike- und beim Gear-Kauf mit Maß und Ziel vorgehen, seine Ansprüche kennen und sich auf die Meinung von Experten stützen.
Auch beim Gear ist teuer nicht immer gut. Und was gut aussieht, muss nicht zwangsläufig auch funktionell sein. Dabei ist es bei Hose und Trikot vielleicht noch nicht ganz so schlimm, wenn Design vor Funktion geht. Wobei: Ein aufgescheuerter Hintern wegen eines nicht passenden Sitzkissens kann einem den Spaß am Biken schon gehörig versalzen. Wirklich unangenehm wird es aber bei sicherheitsrelevanter Ausrüstung, allem voran der Helm. Hier schadet es sicher nicht, den Extra-Taler zu investieren für die neuesten Technologien und eine perfekte Passform. Und einen Ersatz-Helm im Schrank zu haben, ist auch keine schlechte Idee. Besser jedenfalls, als das fünfte Paar Bike-Schuhe, das selbst bei extremstem Mistwetter die Füße warm und trocken betten soll – auch wenn du schon bei Nieselregen lieber den direkten Weg zum After-Ride-Bier einschlägst.
Gear statt Skill? Der Trail deckt alles auf – schonungslos!
Spätestens, wenn es mit dem neuesten heißen Scheiß auf die erste Trail-Runde mit den Kumpels geht, zeigt sich, wie die Skills verteilt sind und ob der fancy Gear hier Airtime gut machen kann. Kleiner Spoiler: Das wird nix! Selbst die besten Klamotten, die griffigsten Pedale und die coolste Brille bringen nichts, wenn es an den Basics fehlt. Der Drop zu hoch? Die Wurzeln zu rutschig? Und der Uphill zu technisch? Und trotzdem shredden die anderen überall drüber und runter, als wäre der Trail eine Waldautobahn? Dann wird es höchste Zeit, sich die Fragen aller Fragen zu stellen: Who wants to be a Skillionaire? Also wollt ihr lieber gut aussehen oder gut fahren? Am liebsten natürlich beides.
Wer sicher und mit Spaß die Trails rauf- und runterjagen will, braucht die entsprechende Fahrtechnik. Da hilft zum einen regelmäßig Biken gehen und zum anderen die wichtigsten Basics erlernen und regelmäßig üben. Doch was sind die Basics, die einem auf dem Trail wirklich weiterhelfen? Das beginnt schon mit Dingen, die auf den ersten Blick ganz einfach aussehen, vielen Fahrern aber große Schwierigkeiten bereiten. Den Trackstand, nur als Beispiel, beherrschen viele nicht, wie man nur allzu oft an einer roten Ampel sehen kann. Dabei lässt sich das Balancieren auf zwei Reifen so leicht lernen und fast jederzeit üben. Vor der Tour einfach mal drei Minuten investieren, oder beim Bierholen eine kurze Einheit in der Garage. Schon nach kurzer Zeit geht diese einfache Technik in Fleisch und Blut über … und bringt doch so viele Vorteile auf dem Trail. Das geschulte Gleichgewicht macht sich bei technischen Uphills genauso bezahlt wie auf handtuchbreiten, ausgesetzten Pfaden. Besseres Gleichgewicht bringt mehr Selbstvertrauen und Sicherheit. Dasselbe gilt für Kurventechnik und langsames Fahren. Auch das will gelernt sein und erleichtert viele Manöver im Gelände und auf der Straße. Ungleich komplexer wird es mit Skills wie dem berühmt-berüchtigten Bunnyhop, dem Hinterradversetzen oder dem Manual. Zwar sind auch diese Techniken kein Hexenwerk. Mehr Übung als für den Trackstand braucht es hier aber schon – oder ein Fahrtechnik-Training bei einer der zahlreichen MTB-Schulen. Hier wird von den absoluten Basics wie der richtigen Haltung auf dem Bike bis hin zu Fortgeschritten-Skills wie Drops und Jumps alles vermittelt, was die Sicherheit und vor allem den Spaß auf den Trails maximiert. Und wer nicht gleich in die Vollen gehen will, kann sich auch bei den erfahrenen Kumpels wertvolle Tipps holen oder einfach mal versuchen, hinter einem schnelleren Rider herzufahren. Ihr werdet euch wundern, welche Line die schnellste und sicherste sein kann.
Gear follows Skill! Nicht umgekehrt.
Wenn die Basics – und vielleicht auch der ein oder andere Advanced-Skill – sitzen, dann bringt dich der richtige Gear weiter. Aber nur dann, wobei sich der tatsächliche Nutzen bei vielen Dingen in Grenzen hält. Der wichtigste Grundsatz ist allerdings: Safety first. Dann Skill und erst am Ende Style. Für die Ausstattung bedeutet das also, dass ihr euch zunächst mit den Dingen eindecken solltet, die eurer Sicherheit dienen: Helm, Handschuhe, Brille, Schuhe, Schoner – das ist die Minimalausstattung, damit es sicher auf Tour gehen kann. Und wer dann noch die wichtigsten Basic-Skills perfekt drauf hat, der macht auch in T-Shirt und Schlabberhose eine gute Figur auf dem Trail. Eine bessere auf jeden Fall als Mr. Ober-Stylo-Milo, der an jeder Kindergartenstufe den Anker wirft und sich fast das teure Edel-Höschen benetzt.
Gear kann aber auch fahrtechnisch Vorteile bringen – indirekt. So vermittelt die richtige Ausstattung mehr Sicherheit und schafft Selbstvertrauen. Mit freiem Kopf klappen die schwierigen Schlüsselstellen gleich viel leichter als mit Zweifeln und Blockaden. Mehr Grip auf den Pedalen, gut sitzende Protektoren, eine selbsttönende Brille: All das sind Dinge, die das Gefühl auf dem Bike und damit den gesamten Ride besser machen können. Fahrtechnik können sie mitnichten ersetzen. Aber natürlich soll unser geliebter Sport vor allem Spaß, Emotion und Abenteuer sein. Und da darf dann auch der Gear nicht zu kurz kommen. Wofür arbeiten wir den ganzen Tag? Damit wir uns die Dinge leisten können, die unser Leben ein Stück lebenswerter, aufregender und einfach schöner machen. Wer kennt nicht dieses Gefühl, wenn der Finger über dem Kaufen-Button schwebt? Das schlechte Gewissen, ob 300 € für eine – zugegebenermaßen supergeile – Windjacke gerechtfertigt sind. Und dann die Vorfreude bis zum Eintreffen des Pakets deines Lieblings-Bike-Shops … Dafür stehen wir doch jeden Morgen auf. Gear kann und soll also viel mehr sein als schmückendes Beiwerk. Kleidung und Ausrüstung können uns das Biken noch mehr versüßen, können das Zünglein an der Waage sein, warum wir trotz Schmuddelwetter das E-MTB der Couch vorziehen. Und nicht zuletzt ist Gear der Gesprächsstoff für viele lange Bike-Touren mit den besten Kumpels. Denn worüber kann man sich besser stundenlang unterhalten als über den neuesten heißen Scheiß?
Erst die Skills, dann der Gear!
Wer viel Geld in sein E-MTB gesteckt hat, will auf Tour auch gut aussehen. Funktionelle Kleidung und hochwertige Ausrüstung haben auf dem Trail noch keinem geschadet. Fehlende Skills hingegen schon. Selbst einfache Übungen wie der Trackstand oder langsames Kurvenfahren können euch im Gelänge ungeahnte Vorteile bringen und lassen euch Stellen meistern, die ihr bislang geschoben habt. Also erst die Skills, dann der Gear – aber nie ohne Helm und Protektoren! Dann seid ihr bald ein echter Skillionaire.
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Words: Patrick Gruber Photos: Mike Hunger